Windows XP - erste Eindrücke

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   Der designierte Nachfolger von Windows 9x/ME und Windows 2000 Professional ist inzwischen als Release Candidate verfügbar und ermöglicht somit einen intensiven Einblick in das, was Microsoft sich als Zukunft der Desktop-Betriebssysteme vorstellt.

   Es soll einfacher für den Benutzer werden und ein Erlebnis - womit durchaus auch das Aha!-Erlebnis gemeint ist, was man mit dem eigenen Rechner alles anstellen kann (was er vielleicht grundsätzlich bislang auch schon konnte, wovon aber selbst Profis manchmal nicht wußten, wie sie es realisieren sollten). Und natürlich multimedial-erlebnisreich - das gehört heutzutage einfach dazu.

   Nach wie vor wird es allerdings zwei Versionen geben, die nun »Home« und »Pro« als Beinamen tragen. Wie nicht anders zu erwarten ist die billigere Home-Version gegenüber der Pro-Variante abgespeckt. Z.B. fehlt die Möglichkeit zur differenzierten Rechtevergabe für Verzeichnisse und Dateien. Die Pro-Version wird wie gehabt eher für Unternehmensumgebungen propagiert.

   Optisch auffälligste Neuerungen gegenüber bisherigen Windows-Sprößlingen:

  • Der Desktop soll aufgeräumt, optimalerweise praktisch ganz leer sein.
  • Häufig benutzte Shortcuts tauchen dafür im jetzt zweispaltigen Startmenü auf. Dies macht Gebrauch von den seit Windows und Office 2000 her bekannten »intelligenten Menüs« (die nach einer kleinen, inoffiziellen Meinungsumfrage etliche User aber eher als nervig empfinden, allerdings nicht wissen, wie sie sie ausschalten können).
  • Auch die Iconanzahl im Tray reduziert sich drastisch - nur noch Programme, die wirklich über die Icons mit dem Benutzer kommunizieren, sollen dort ihren Platz finden.
  • Der Anmeldebildschirm bietet den eingerichteten Usern Login-Möglichkeit per Klick statt wie bisher mittels <Strg><Alt><Entf>. Selbst die Konterfeis der Benutzer lassen sich dort hinterlegen.
  • Benutzerfreundlichere Lösungsfindung. Bislang mußte man sich beispielsweise in der Systemsteuerung einfach auskennen und wissen, bei welchem Windows man wo die TCP/IP-Einstellungen für das lokale Netzwerk setzt oder wie man LBA auch für den zweiten IDE-Controllerkanal aktiviert. Jetzt haben auch unbedarftere User die Chance, mittels vielfältiger Assistenten und themenorientierter Menüführung solche Einstellungen in endlicher Zeit vorzunehmen.

   Wer sich auch bisher schon gut auskannte und die naturgemäß durch eine solche Benutzerführung etwas größere Anzahl an Klicks eher als Bremse empfindet, der kann auch seinen »alten« Desktop wählen; da bliebt dann optisch fast alles wie unter Windows 2000. Von der Funktionalität her bedeutet dies keine Einschränkungen.

   Auch hinter den Kulissen hat sich einiges getan. Mehrere Benutzer können jetzt gleichzeitig angemeldet sein - sinnvoll z.B., wenn Person X ein mehrstündiges Rendering oder einen größeren Druckjob startet, und zwischendurch Person Y gerne am gleichen Rechner ihre Emails abholen möchte.

   Großer Wert wurde ebenfalls auf Konnektivität in jeder Hinsicht gelegt. Damit ist weniger Internet als solches gemeint - dies ist schon länger einfach eine Selbstverständlichkeit. Nein, hier geht es um Aufgabenbereiche, die bislang Spezialprogrammen wie PC-Anywhere oder aber dem Terminalserver vorbehalten waren: Dies beinhaltet die komplette Fernsteuerung eines anderen Rechners über das lokale oder das weltweite Netz (nur in der Pro-Version) - so kann man unterwegs über seinen Laptop oder selbst von einem Handheld aus Kontrolle über seine Power-Workstation zuhause übernehmen, sich dort eingetrudelte Nachrichten anschauen usw. Es beinhaltet aber auch (für Pro- und Home-Version) eine vollständige Helpdesk-Lösung, bei der eine benutzerüberwachte Fernsteuerung eines Rechners möglich ist. Diese kann jederzeit durch einfaches Drücken der <Esc>-Taste auf dem Client-Rechner unterbrochen werden, so daß nicht die Gefahr des Ausspähens kritischer Daten oder ähnlichem besteht.

   Für Multimedia-Genüsse jeglicher Art ist der neue Mediaplayer 8 vorgesehen, der jetzt mit frei konfiguierbaren Skins beliebiger Form Von Midis über MP3 bis hin zu Videos diverser Formate und DVDs so ziemlich alles abspielen kann. Natürlich holt er sich die Namen der Titel und Interpreten aus den Internet, erlaubt das Erstellen eigener Playlisten, kann selbst CDs brennen usw.; Komfort wird groß geschrieben. Auch Video-Editing soll mit XP einfacher bzw. überhaupt vernünftig machbar werden, ohne daß sündhaft teure Spezialsoftware nötig wird. Nach landläufiger Meinung wird es den Mediaplayer 8 allerdings nur im Zusammenhang mit Windows XP geben, ein separater Download ist zumindest bislang nicht vorgesehen.

   Von der Stabilität her soll XP mindest ebenso gut wie Windows 2000 sein - und damit deutlich besser als alles, was auf dem 9x-Kernel beruht. Tatsächlich ist es uns nur mit großer Mühe gelungen, einen Absturz zu provozieren. Für Heimanwender wird dies tatsächlich ein Erlebnis positiver Art sein.

   Fans von alten DOS-Spielen kommen allerdings nicht unbedingt auf ihre Kosten. Da diese meist recht hardwarenah programmiert sind, kommt es hier selbst beim Einsatz des Applikations-Kompatibilitäts-Tools zu verweigerten Starts, den Dienst versagenden Soundkarten usw.

   Bezüglich der Treiberverfügbarkeit ist sicher damit zu rechnen, daß die meisten Hersteller innerhalb eher kürzerer Zeit Updates zur Verfügung stellen. Wie lange »eher kürzer« bei einem einzelnen Hersteller ist, bleibt allerdings Spekulationssache. Und erfahrungsgemäß werden »archaische« Devices irgendwann halt einfach nicht mehr unterstützt. Die Ditto-Max-Beschleunigerkarte z.B. bekam unter NT4 trotz fehlendem Plug & Play zum Laufen. Bereits unter W2K rührt sich dort gar nichts mehr. Und ähnlich dürfte es beim Sprung auf XP auch anderen Geräten gehen - ob z.B. die ISDN-Boxen von Hagenuk (inzwischen übernommen, keine Firmware-Updates in Sicht) unter XP noch ihren Dienst versehen werden, steht in den Sternen.

   In der Pro-Version bietet Windows XP Unterstützung für 64-Bit Prozessorarchitekturen. Im Klartext und zugesagt allerdings nur für Intels Itanium-Prozessor. Die Frage, ob für den von AMD angekündigten 64-Bit-Prozessor ebenfalls eine Unterstützung geplant sei, wußte selbst der technische Marketingleiter von Microsoft nicht zu beantworten. Man darf also davon ausgehen, daß die Antwort hierauf wohl »Nein« lautet - eine bittere Pille für AMD und Nährboden für böse Zungen, die schon vor Jahren vom »Wintel-Kartell« geredet haben.

   Von den Hardwareanforderungen her ist XP - wie kaum anders zu erwarten - gefräßig. Die von Microsoft angegebenen Mindestanforderungen (PII-300 mit 64 MB RAM) sind eher als Ausloten des unteren Limits zu verstehen, bei dem ein System mit XP gerade noch startet. Ab 128 MB RAM wird es etwas flüssiger. Wer gerne mit speicherhungrigen Applikationen arbeitet, sollte besser 256 MB ins Auge fassen. Toi toi toi ist dies bei den derzeitigen Preisen für Speicher ohne riesige Löcher in der Kasse zu bewerkstelligen - es sei denn, man entscheidet sich für den Pentium IV und muß wohl oder übel RDRAM nehmen, die sind immer noch mindestens doppelt so teuer wie alle anderen einschließlich der PC2100 DDR-SDRAMs. Von der Prozessortaktfrequenz her darf es natürlich gerne schnell, schneller, am schnellsten sein. Zunächst einmal ist mehr Speicher allerdings der wichtigere Faktor.

   Was die Netzwerksicherheit angeht, ist XP schon vorab ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Hintergrund sind die unter Unix seit Jahren implementierten »Raw Sockets«, die keine Rückverfolgung des Datenursprungs erlauben. Unter Unix muß man aber als Superuser (vergleichbar dem Administrator bei NT-Systemen) eingeloggt sein, um sie benutzen zu können. Unter XP kann jeder Hinz und Kunz sie jetzt benutzen. Was ist daran schlimm? Stichwort »DOS«-Attacken - jene Versuche, Server mittels Datenüberflutung auf offenen Ports lahmzulegen oder durch die gefürchteten Buffer-Overruns eventuell den attackierten Rechner sogar vollständig zu übernehmen. Jemand, der es darauf anlegt, könnte mittels eines Trojaners zig XP-Rechner in eine DOS-Attacke einspannen, die dann nicht einmal mehr zurückzuverfolgen wäre. Daß ein solches Szenario nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist, zeigt der inzwischen schon aus dem vorherigen Jahrtausend stammende Fall der T-Online-Powertools, die neben einer einfacheren Handhabung der damaligen T-Online-Software auch noch einige ungebetene Dinge wie z.B. Übermittlung der Benutzerdaten anstellte. XP soll eine Firewall gegen solche Mißbräuche integriert haben. Wie gut diese ist und ob wirklich jeder Benutzer in der Lage ist zu erkennen, ob sich sein Rechner gerade in einen Zombie verwandelt und derartige Kommunikationen unterbindet, bleibt allerdings abzuwarten.

   Dazu, daß z.B. HP seinen Angestellten vorläufig untersagt hat, XP-Rechner im firmeneigenen Netz zu betreiben, weil es laut ZD-Net bereits mehrere Vorfälle gab, bei denen ein einziger XP-Rechner ein ganzes Netzwerk ins Nirwana riß, wußten die Herren von Microsoft auf einer Pressekonferenz nichts zu sagen; ein solcher Fall sei nicht bekannt und vor der Beta-Testphase sei ja ausführlich im eigenen Hause damit rumprobiert worden, eben um solche Fälle auszuschließen. Ob man’s glauben soll, daß wirklich alle ZD-Net-Meldungen reines Gerücht waren?!

   Ein weiterer umstrittener Punkt bei Windows XP ist die sogennante »Aktivierung«. Es reicht nicht mehr, bei der Installation einen zwanzigstelligen Code einzugeben. Nach 30 Tagen muß man sein Betriebssystem zusätzlich »aktivieren« lassen, sonst läuft gar nichts mehr. Der Hintergedanke ist, Softwarepiraterie vorzubeugen. Die Aktivierung kann über Internet oder auch, indem man per Telefon seinen Aktivierungscode abfragt, geschehen. Der Aktivierungscode knüpft mit einem unbekannten Algorithmus an ebenfalls nicht näher bekannte Hardwarekomponenten und ist damit nur auf dem aktuellen Rechner benutzbar. So weit, so gut. Aber zu einen sind bereits um die Recovery-Versionen von Windows ME und 2000 einige Rechtsstreitigkeiten entbrannt, bei denen Microsoft vor Gericht nicht unbedingt eine gute Figur machte. Zum zweiten - ohne damit die sicher nicht ganz unverbreitete »Klauware-Mentalität« unterstützen zu wollen - steht zu befürchten, daß es ca. eine Woche nach der offiziellen Freigabe von XP an den einschlägigen Stellen im Netz der Netze Cracks gibt, die eine Aktivierung umgehen. Zum dritten gibt es für Firmenkunden prä-aktivierte Versionen, die in der Regel auch ihre Kreise ziehen. Zum vierten sprachen sich bei einer diesmal schon offizielleren Meinungsumfrage auf www.searchwin2000.com von mehreren tausend Stimmabgaben (zumeist Systemadministratoren) gut 80% gegen die Aktivierungspolitik aus und äußerten, daß sie XP deshalb entweder gar nicht erst zum Einsatz kommen lassen wollten oder aber zumindest Probleme in ihrer Firmenumgebung befürchteten. Möglicherweise sollte Microsoft seine Firmen- und Preispolitik hierzu noch einmal überdenken. Als kleiner Denkanstoß hierzu: Von Windows 2000 sind bereits innerhalb des ersten Jahres über eine Million Exemplare wirklich verkauft worden, und W2K wurde von Microsoft selbst als das Business-Betriebssystem vermarktet. XP ist ganz offiziell auch als für Heimanwender geeignet und gedacht dargestellt; außerdem will Microsoft Gerüchten zufolge über 1 Milliarde Dollar für Marketing und Werbung in dieser Richtung ausgeben. Die Verkaufszahlen für XP dürften also höher ausfallen als bei Windows 2000. Nehmen wir nun einmal an, daß die obigen 80% nicht repräsentativ sind - es mögen nur etwa 20% der Käufer sein, die sich über die Aktivierungspflicht ärgern. Und die deshalb den Weg der telefonischen Aktivierung wählen. Macht mehrere hunderttausend Anrufe pro Jahr, die von der Aktivierungshotline bewältigt werden müssen, zusätzlich zu wahrscheinlich mehreren Millionen mittels Online-Aktivierung. Ist Microsoft dafür logistisch gerüstet? Oder anders herum gefragt: Wie oft / lange würden Sie versuchen, eine Aktivierung durchzuführen, bis Sie - nennen wir es - ungeduldig werden? Wie bereits geschildert, können Sie gerade mit Ihrem XP-Rechner nichts anderes mehr machen, als ihr Betriebssystem zu aktivieren - damit zu arbeiten ist unmöglich.

   In der Kolumne bei PC Pro und anderen Blättern wird dieses Thema sicherlich noch ausführlicher erörtert werden. Auch Juristen werden sich sicherlich damit beschäftigen, da das bereits bei den Recovery-Versionen akute Thema des Rechner-Komplettaustauschs hier natürlich wieder einmal auf der Tagesordnung steht. Unsere ganz persönliche Meinung ist, daß Microsoft sich damit eine Menge - vermeidbaren - Ärger einfängt. Obwohl die Firma nach dem Kartellrechtsprozeß in den USA eigentlich begriffen haben könnte, daß das Spiel »Ich krieg Dich!« so lustig nun auch nicht ist und nur dadurch zustande kam, daß sie eben niemand anderem mehr erlaubt hatte, auch mal kräftig mitzumischen.

   Fazit: Für den Heimanwender ist XP sicherlich ein recht großer Sprung, vor allem in Sachen Stabilität. Das Update wird von uns empfohlen, sofern die Hardware mitspielt. Wie schon bei W2K empfiehlt sich hier ein Blick in die Hardware-Kompatibilitätsliste. Für denjenigen, der bislang mit Windows 2000 arbeitet, ist es die Einführung einiger äußerst nützlicher und einiger potentiell gefährlicher Features. Ob sich der Aufwand dafür lohnt, bleibt eine persönliche (bzw. firmenpolitische) Entscheidung.

gb